DER SCIROCCO

Der Scirocco

Der 1er    


Im Jahre 1974 war es in Wolfsburg an der Zeit für einen Umsturz. Der Golf trat an, den altbewährten Kugelporsche abzulösen, der Scirocco ersetzte den schicken Karmann-Ghia: Frontantrieb und Wasserkühlung - so hieß das neue Glaubensbekenntnis.
Für VW in Wolfsburg war es eine nicht einfache Aufgabe, den uneingeschränkten König Käfer vom Thron zu stoßen. Alles wartete gespannt auf den Erbprinzen Scirocco. Wie bitte, der Scirocco als Nachfolger des Käfers???
Im Zuge der Modellerneuerung sollten alle Baureihen den Namen vom Winde erhalten. Der ursprüngliche Name vom Golf lautete - Ihr ahnt es - Scirocco. Der sportlich-schicke Ableger sollte Scirocco-Coupe heißen.
Dieser Ableger kam, unter dem Namen Scirocco, dem nun Golf genannten Ausgangsmodell schließlich zuvor: Er debütierte im Frühjahr 1974, drei Monate vor der Golf-Präsentation!!!


Der Grund, warum der Scirocco vor dem Golf da war, ist in der größeren Flexibilität von Giorgetto Giugiaros Designfirma Ital Design (die beide Autos entwarf) und dem Karosseriebauer Karmann zu suchen (der den intern genannten Typ 53 baute). Außerdem konnte VW somit vor der Einführung des Golf die Reaktionen der Kunden auf das neue Design und die neue Technik beobachten.


Der Riese VW konzentrierte sich auf die Golf-Einführung, während sich die beiden relativ kleinen Unternehmen mit dessen Coupé-Ableger befassten.
Giorgetto Giugiaro hatte den Scirocco gleichsam nebenher entworfen, neben seinem eigentlichen Auftrag, die äußere Hülle zu gestalten. Er griff beim Entwurf des kleinen Sportlers auf bereits vorhandenes Material zurück:
1973 hatte Ital Design auf der Frankfurter IAA das keilförmige Coupé “Asso di Picche” (Pik-Ass) auf Audi 80-Basis vorgestellt. Dessen Styling stand nun Pate für den neuen Scirocco.


Karmann in Osnabrück griff die Idee begeistert auf, würde es doch mit dem (vermeintlich) absehbaren Ende des Käfers nötig sein, auch den Karmann-Ghia zu ersetzen. Eine kurze Zeit, im Frühjahr 1974, liefen der Ghia auf Käfer-Basis und das neue Heckklappen-Coupe tatsächlich nebeneinander von den Osnabrücker Bändern. Im Gegensatz zum üppig gerundeten Karmann-Ghia, dessen opulentes Äußeres zu jener Zeit als Ausdruck formgestalterischer Steinzeit galt, geriet die Hülle des Nachfolgers so kantig wie der Charakter von Alfred Tetzlaff, Fernseh-Ekel der Nation. Optisch wurde das Styling untermalt von der fröhlichen bunten VW-Farbpalette.   


Zur Scirocco-Klientel der ersten Stunde zählten Zahnärzte, die ihren Frauen den Osnabrücker Schönling als Einkaufswagen schenkten, Töchter aus gutem Hause, die ihn zum Abitur bekamen, Chefsekretärinnen oder gut situierte Herren, die am Wochenende mit ihm ins Grüne fuhren.


Im Sommer 1975 gab es für alle Scirocco-Modelle nur noch den Einarmwischer. Außerdem berichtete die Fachpresse von einem Über-Scirocco, dem der 110 PS-Treibsatz aus dem Audi 80 GTE zu mehr Biss verhelfen sollte. Gerüchte besagten gar, dass VW den Golf mit diesem Triebwerk ausstatten wolle. Im darauf folgenden Juni war es dann soweit: Der Scirocco GTI schickte die bisherige 85 PS-Topversion in Rente.


1976 wurde das Belüftungssystem entscheidend verbessert, in dem die seitlichen Belüftungsdüsen auf dem Armaturenbrett nun Anschluss an das Heizungssystem fanden, statt wie vorher nur über Ansaugschläuche unter dem Windleitblech versorgt zu werden. Die miserable Entlüftung durch die Türen hingegen blieb.
Begeisterung herrschte allenthalben beim Scirocco-GTI: Autotester lobten die Fahreigenschaften des nicht nur motorisch hochgerüsteten Einspritz-Scirocco. In Sachen aktiver Fahrsicherheit hatte VW ordentlich nachgelegt: innenbelüfte Scheibenbremsen vorne, Gürtelreifen im Format 175/70 HR 13, Stabilisatoren vorne und hinten sowie ein vergrößerter Frontspoiler, der den Auftrieb bei hohen Geschwindigkeiten verringerte. Der Scirocco-GTI lief knapp 190 Sachen und benötigte keine 10 Sekunden, um von 0 auf 100 km zu beschleunigen. Das sollte reichen um Opel Kadett GT/E und Ford Escort RS 2000 stehen zu lassen und auch erfolgreich im Revier von Opel Manta und Ford Capri zu wildern. Um das neue Modell bekannt zu machen indizierte VW für die Saison 1976 gar den Scirocco-GTI-Cup, in dem sich 50 identische Vorserien-Autos befanden.


1977 war es dann soweit: Nach drei Jahren ließ Volkswagen dem Scirocco das erste größere Facelifting angedeihen, nachdem die Ur-Version noch mit einem alpinweißen Sondermodell ausgeklungen war.


Die auffallendsten äußeren Änderungen: die vorderen Blinker waren nun um die Kotflügelecken herumgezogen, die bisher verchromten Metallstoßstangen erhielten eine Plastikummantelung und reichen jetzt seitlich herum bis zu den Radhäusern. Beim GTI und GLI gehörte nun auch das 5-Gang-Getriebe zur Serienausstattung. Später wurde es wahlweise auch für die 70- und 75 PS-Modelle lieferbar.


Während der Scirocco der ersten Generation gemächlich seine restlichen Jahre verbrachte, entstanden im Hannoverschen Autohaus Nordstadt von Günter Artz einige ganz besondere Stücke, genannt Sciwago (Scirocco Station Wagon). Artz baute die Coupés gekonnt zu Combis um. 1979/80 entstanden knapp 30 Stück, zumeist mit GTI-Maschine. Aber es ist auch ein Exemplar mit 50 PS-Triebwerk bekannt.   


Außer dem Sciwago gab es auch Versuche in der umgekehrten Richtung. Die englische Firma Wolfe sägte 1980 in Zusammenarbeit mit dem Cabrio-Spezialisten Crayford dem Scirocco das Dach ab. Heraus kam ein offener Scirocco mit dem passenden Namen Tempest (“Sturm”) und qualitativ hochwertiger Verdeckkonstruktion. In der Bundesrepublik ging unter anderem die Firma Bieber dem Scirocco-Aufschneiden nach. Stückzahlen der Cabrio-Umbauten sind leider nicht bekannt.


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